Surf/Hotrod
Surfmusik ist der einzige Zweig des klassischen Rock 'n' Roll, der weit in die 60er Jahre hineinragte und eine Art amerikanische Parallele zur britisch dominierten Beatmusik bot. Im Allgemeinen wird mit dem Begriff "Surfmusik" der Sound der Beach Boys oder des Duos Jan & Dean assoziiert. Indes gab es daneben einen deutlich aggressivereren, instrumentalen Rock 'n' Roll Stil, der den Namen "Surfmusik" für sich beanspruchte. Dick Dale, der Erfinder dieser Spielart (heute "Surfrock" genannt) debutierte, genau wie die Beach Boys, im Jahre 1961 mit seiner ersten Single "Let's Go Trippin'". Allerdings behauptet er, den Begriff "Surf" schon in den 50er Jahren auf seine Musik angewendet zu haben. Welches nun die "wahre" Surfmusik ist, die Rockform oder die Popform, ist eine ebenso strittige wie müßige Frage.
In der rockigen Instrumentalform wurden sowohl der "Twang"-Sound als auch das Saxofon der Hazlewood-Produktionen aus Phoenix und Los Angeles übernommen (siehe Absatz "Instrumental"). Manchmal wurden die Melodielinien nach südkalifornisch-mexikanischer Tradition von einer Trompete gespielt. Als Hauptinstrument dominierte die Stratocaster, jene legendäre Gitarre des kalifornischen Herstellers Leo Fender, von deren Tremolohebel im Surfrock reichlich Gebrauch gemacht wurde. Die charakteristische, mitunter zerstörerisch krafvoll angeschlagene Surf-Gitarre wurde außerdem mit einem Bandecho eingespielt, was die beliebten Glissando-Riffs auf den Basssaiten etwas glättete, mit denen die rasante Wellenfahrt des Surfbrettes musikalisch umgesetzt wurde. Dick Dale stand in engem Kontakt mit Leo Fender, der in Abstimmung auf Dales Spielweise seine Gitarrenverstärker der späten 50ger und frühen 60ger Jahre anpasste. Dem heutigen Publikum dürfte der Sound Dick Dales, der lange Zeit nahezu vergessen war, vor allem durch die Soundtracks der Filme von Quentin Tarantino bekannt sein, durch die ein Revival des härteren Surfsounds eingeleitet wurde.
Den Beginn des bekannteren "anderen" Surfstils, einer gefälligen, mehrstimmigen Variante der Surfmusik, markiert der Beach Boys-Titel "Surfin'" von 1961 (Platz 75 in den Charts), der sich musikalisch eng am weißen Doowop ausrichtete. Aber schon die folgenden, bei Capitol veröffentlichten Titel der Band ließen, neben Einflüssen von Chuck Berry und dem Doowop, einen sehr eigenständigen Stil erkennen. Ein wesentliches Merkmal der mehrstimmigen Surfmusik sind die Textinhalte, die meistens das Leben in Kalifornien verherrlichen. Neben dem Thema "Surfen" ist dabei das Thema "frisierte Autos" (Hotrod) auffallend häufig. Die starke Präsenz des Autokultes in der Surf/Hotrod-Musik erklärt auch die gelegentlichen Anleihen bei Chuck Berry, dem Begründer des "Car-Sounds" (Vergleiche hierzu Beach Boys: "Surfin USA" mit Chuck Berry: "Sweet Little Sixteen").
Mit wachsender Popularität haluzigener Drogen in der zweiten Hälfte der 60er Jahre machte - ebenso wie die britisch dominierte Beatmusik - auch die Surfmusik eine Metamorphose ins Psychedelische durch. Die Beach Boys produzierten äußerst kreative und künstlerische Alben, die allerdings mitunter etwas überladen wirkten und die Bodenhaftung vermissen ließen. So interessant diese Spätform des Surf war, mit der geradlinigen Einfachheit des Rock 'n' Roll hatte sie nur noch wenig zu tun, weshalb sie hier nicht weiter behandelt wird.
Beide Richtungen des Surfsounds, sowohl der instrumentale Surfrock, als auch die mehrstimmige Popform, begründeten die Tradition der Westcoast-Rockmusik. Bands wie die Trashmen und später auch die Ramones, die gesanglich zunächst an die Beach Boys erinnerten, versahen die Musik mit einer aggressiven, anarchistischen Attitüde und bereiteten den Weg für den Punk. Die Studioarbeit der späten Beach Boys setzte Maßsstäbe für anspruchsvollere Popproduktionen der 70er Jahre, etwa die ersten Alben der schwedischen Popband Abba.
Vertreter: Beach Boys, Jan & Dean, Dick Dale & The Deltones, The Rip Chords